Regulation von Glucose – und Glycogen im Sport

Seit vielen Jahrzehnten gehen wir in der Sportwissenschaft davon aus, dass Kohlenhydrate (KH) die vorrangige und vor allem notwendige Energiequelle für intensive und langandauernde sportliche Belastungen sind.

Rückblick:

In den 1960er Jahren wurde die Technik der Muskelbiopsy entwickelt und somit die Menge an Glykogen (Speicherform von Kohlenhydraten) im Muskel messbar. 1967 publizierten die skandinavischen Wissenschaftler Bergström und Hermansen die Ergebnisse ihrer Untersuchungen, die zeigten, dass mehr Glykogen in der Muskulatur sich auf die Ausdauerleistungsfähigkeit auswirkt. Sportler mit mehr Glykogen vor der Belastung konnten länger eine hohe Leistungen erbringen.
Als Folge entwickelte sich das „Carboloading“.  Je mehr Kohlenhydrate vor und während der Belastung, desto besser. Aktuell wird besonders im Radsport eine KH-Aufnahme von 120g und mehr pro Stunde empfohlen.

Eine Studie, die bereits in den 1930er Jahren veröffentlicht wurde, erlangte leider keine wissenschaftliche Beachtung. Die Skandinavier Christensen und Hansen stellten bei ihren Belastungsuntersuchungen die Bedeutung der Regulation des Blutzuckerspiegels heraus. Bei der Aufnahme von KH konnten die Probanden deutlich länger körperlich belastet werden. Allerdings veränderte sich trotz KH-Zufuhr der Energiestoffwechsel im Muskel nur unwesentlich, die KH-Oxidation in der Muskulatur veränderte (steigerte) sich nicht signifikant.
Daraus folgerten sie, dass der Glykogenverbrauch in der Muskulatur nicht durch die Aufnahme von KH bzw. Glucose verändert bzw. gesteigert wird. Den größten Effekt auf die Leistungsfähigkeit hatte nachweislich die Regulation des Blutzuckerspiegels, solange dieser aufrecht erhalten werden konnte, hatten die Probanden keine Probleme, die Leistung über mehrere Stunden durchzuhalten.

Energiestoffwechsel:

Prins et al. veröffentlichten 2023 eine Studie, die die Bedeutung der Kohlenhydrate bzgl. der Ausdauerleistungsfähigkeit in einem anderen Licht erscheinen lässt.
In einem Cross-Over-Design ernährte sich eine Gruppe von gut trainierten Läufern jeweils 4 Wochen High Carb und im Anschluss jeweils 4 Wochen Low Carb. Bei jeder Ernährungsweise wurden im Verlauf der 4 Wochen mehrere Leistungstests durchgeführt, wie z.B. VO2 max. Test, 1,5km Time Trial und eine Laufeinheit mit mehreren 800m Intervallen. Die Ergebnisse zeigten, dass die Leistungsfähigkeit, nach 4 Wochen, unabhängig der Ernährungsweise, identisch war. Dies war die erste Untersuchung, die darstellen konnte, dass auch bei einer Low Carb Ernährung und reduziertem Glykogengehalt in der Muskulatur hohe Belastungsintensitäten und Leistungsfähigkeit möglich sind, die Kohlenhydrate also nicht „per se“ die entscheidende Energiequelle darstellen. Wenn wir die aufgeführten Aspekte berücksichtigen, könnten wir den Kohlenhydratstoffwechsel vor und während der sportlichen Belastung aus einer „neuen“ Sicht betrachten.

Der Kohlenhydratstoffwechsel kann in zwei unterschiedliche „Pools“ aufgeteilt werden:

  1. Der Blutzucker als „kleiner Pool“ und
  2. Die Glykogenspeicher der Muskulatur als „großer Pool“

beide Pools werden jedoch unterschiedlich und unabhängig voneinander reguliert.

Die Untersuchungen von Coyle et al. 1991 gaben weitere Hinweise für den beschriebenen Ansatz. Eine Gruppe von Radsportlern wurde bei einer 4-stündigen Dauerbelastung mit Kohlenhydraten versorgt, eine Kontrollgruppe jeweils ohne KH. Die KH-Gruppe konnte die Belastung deutlich länger aufrechterhalten als die Kontrollgruppe. In der Betrachtung des Blutzuckerspiegels der beiden Gruppen wurde deutlich, dass mit dem Abfall der Blutglucose auch die Leistung zeitgleich zurückging. Wurde die Blutglucose wieder erhöht, konnte auch die Belastung weitergeführt werden. Interessant ist jedoch die Betrachtung der Glykogenmenge vor und nach der Belastung. Unabhängig der KH-Zufuhr waren die Mengen bei beiden Gruppen identisch. Der Glykogenverbrauch wurde nicht von der KH-Versorgung während der Belastung beeinflusst. Die Analyse des Energiestoffwechsels zeigte zudem, dass das Energiedefizit aus der verringerten KH-Oxidation der Kontrollgruppe durch eine gesteigerte Fett-Oxidation fast identisch bzgl. der Energiemenge ausgeglichen wurde.

Wir können folgende Folgerung im Bezug zum Kohlenhydratstoffwechsel ziehen:

  1. Exogene KH Aufnahme (Getränke, Riegel etc). reguliert primär den „kleinen Pool“, den Blutzuckerspiegel. Dabei wird durch die Zufuhr die körpereigene (endogene) Glucoseproduktion der Leber unterstützt, mit dem Ziel, den Blutglucoselevel zu stabilisieren.
  2. Glucose aus Muskelglykogen. Die Aufnahme von KH hat keinen Einfluss auf den Glykogenverbrauch. Dies geschieht nur „indirekt“ über Insulinausschüttung, als Folge der KH-Zufuhr wird die Fett Oxidation reduziert, was in gleichem Maße wieder den Glykogenverbrauch erhöht. Der Glykogenverbrauch wird also primär über den Grad des Fettstoffwechsels gesteuert.

Die Studienergebnisse von Hawley et al. unterstreichen diese Energiestoffwechselregulation.
Bei einer Gruppe von Sportlern wurde jeweils 25g und 125g Glucose/h infundiert. Bei 125g/h wurde die Fett Oxidation deutlich reduziert, als Folge wurde das „energetische Defizit“ über Glykogenverbrauch ausgeglichen.
Welton et al. zeigten 1998 bei ihren Untersuchungen, dass auch der Muskelglykogengehalt zu Beginn der sportlichen Belastung eine entscheidende Rolle für den Energiestoffwechsel darstellt.
Sie konnten nachweisen, dass ein deutlich reduzierter Glykogengehalt zu Beginn eine erhöhte Fett Oxidation zur Folge hat. Wohingegen ein normaler Glykogenkonzentrationen eine reduzierte Fett Oxidation und gesteigerten Muskelglykogenverbrauch aufzeigte. Dieses Zusammenspiel von Glykogenkonzentration und Fettstoffwechsel wird nicht durch exogene KH-Aufnahme beeinflusst, auch nicht bei reduzierter Glykogenverfügbarkeit.

Take Home:

  • Muskelglykogen und Blutzucker-Oxidation sind während sportlicher Belastung unterschiedlich reguliert.
  • Leberglykogenverbrauch ist bei KH-Aufnahme reduziert.
  • Muskelglykogenverbrauch ist bei KH-Zufuhr gesteigert.
  • KH-Aufnahme reduziert die Fettoxidation. Das Energiedefizit (weniger Fettstoffwechsel) wird durch gesteigerten Glykogenverbrauch ausgeglichen.
  • Ein wichtiger Faktor für die Fettoxidation ist der Muskelglykogengehalt, so reguliert der Muskel seinen eigenen „Glykogenverbrauch“ über den Grad des Fettstoffwechsels.
  • KH-Zufuhr während der Belastung beeinflusst also direkt den „kleinen Glucose Pool“, um sicherzustellen, dass der Blutzuckerspiegel nicht absinkt (Hypoglykämie).
  • KH-Aufnahme beeinflusst den „großen Glucose Pool“ nur indirekt durch Verringerung der Fettoxidation und als Folge eine erhöhte Glykogenoxidation.
  • KH Vor und Während der Belastung beeinflussen die Leistungsfähigkeit nur in dem Maße, wie der Energiestoffwechsel des „kleinen Glucose Pools“ gesteigert werden kann.